Plötzlich erscheint es ganz natürlich, es zu verändern.

30 Jahre Impresariat -
Sonia Simmenauer im Interview
FRAGEN
Hartmut Welscher,
VAN Magazin
Wie hat sich die Agenturlandschaft in den letzten dreissig Jahren verändert?
Als ich anfing, brauchte man eine Lizenz, um Agent zu werden. Es gab nur wenige Agenturen und kaum welche, die nicht auch Veranstalter waren. Man hat Künstler getauscht; „Du nimmst mir jetzt den ab, ich dir den“. Es war schön übersichtlich, die ausländischen Agenturen haben nicht in Deutschland gearbeitet, und die deutschen nicht im Ausland.

Das Internet hat es dann ermöglicht, viele schnell und über große Entfernungen zu erreichen, hat dabei aber die kleinen Schlenderwege verschüttet und stattdessen Karriere-Autobahnen gebaut. Dadurch haben sich ganze Traditionen in Luft aufgelöst. Viele haben vergessen, wie man miteinander redet, vor allem über Musik.
Die Richtung ist noch unklar,
aber der Wert des Live-Konzerts
ist wieder enorm gestiegen.
ALS SIE IHRE AGENTUR GEGRÜNDET HABEN, BEFANDEN SICH DIE LABELS GERADE IN DER GOLDGRÄBERSTIMMUNG MIT DER VERBREITUNG DER CD ...
Ja, die Firmen haben ihre gesamten Archive wieder neu herausgebracht, die Leute haben gekauft wie blöd. Und die CD hat die Programmierung des Konzertmarkts lange nahezu diktiert. Die Vermarktung erreichte eine neue Stufe – es kamen die Events, die nicht auf die Musik zugeschnitten waren, sondern andersherum die Musik auf das Event. Ich glaube, das ist der Punkt, an dem man sich verloren hat. Das war damals der Anfang dieser brutalen Vermarktung der Musiker. Aber auch das ändert sich gerade. Die CD ist heute fast out, die Richtung ist noch unklar, aber der Wert des Live-Konzerts ist wieder enorm gestiegen.
Ich empfinde es als eine Wohltat,
dass Glamour und Erscheinung
an Wichtigkeit verlieren.
HAT MAN EIN EIGENTOR DAMIT GESCHOSSEN, DEN BEGRIFF DES ‚STARS‘ SO INFLATIONÄR ZU GEBRAUCHEN?
Ich empfinde es als eine Wohltat, dass Glamour und Erscheinung an Wichtigkeit verlieren, dass Künstler und Publikum sich stärker um die Musik herum versammeln. Es gibt hier natürlich unendlich zu tun; es entsteht ein großer Vermittlungsbedarf: zwischen Künstlern und Veranstaltern, zwischen Veranstaltern und Publikum. Es geht um Werke, um Programme – wer gestaltet was zu welchem Zeitpunkt auf welche Art und Weise? Wie können Ideen, Möglichkeiten und Wünsche zusammenkommen?

Und: Wie kann man das Besondere, das Eigenartige eines Künstlers schützen und fördern? Es stimmt, dass junge Leute häufig früh herausgegriffen und hochgeschossen werden, und es gibt etliche, die das nicht durchhalten. Aber es gab auch zu meiner Zeit diejenigen, die mit 30 wieder weg waren. Und es gibt immer noch Künstler, die über einen längeren Zeitraum bekannter und beliebter werden, deren Wachsen und Reifen eine immer größere Gemeinde anzieht.
WENN MAN HEUTE DEN MARKT BETRACHTET, HAT MAN DAS GEFÜHL, ES GIBT ALLES: EIN ENDLOSES ANGEBOT, ALLE SPEZIALISIERUNGEN UND JEDEN ERDENKLICHEN CROSSOVER. GIBT ES AUCH ETWAS, WAS FEHLT?
Wir leben – wie immer – in einer sehr aufregenden Zeit, verunsichert ob der stoßweisen Aufhebung vertrauter Grenzen, im Guten wie im Schlechten. Dass alles möglich ist und nebeneinander stattfinden kann, irritiert: Wo sind meine Parameter? Wonach kann ich entscheiden? Wer sagt mir, was gut ist und was nicht?

In gewisser Weise zwingt genau diese Situation dazu, besser – inniglicher – hinzuhören, also nach außen offener für die Musik zu sein, ein Gespür zu bekommen, ob etwas fundiert ist, in etwas Größerem verankert. So erkläre ich mir die immer größer werdende Gemeinde um die historisch informierte Aufführungspraxis, oder das Interesse an Gesamtaufführungen. Nicht mehr der bürgerliche Kanon, das breitangelegte Wissen wird angestrebt – sondern die Freude, sich durchdringen zu lassen, aktiv involviert zu werden.
WIE KAM ES EIGENTLICH ZUM STREICHQUARTETT-BOOM DER LETZTEN ZEHN, ZWANZIG JAHRE?
Das hat mit den Lebensentwürfen zu tun und mit dem Bedürfnis nach Selbstbestimmung. Daher ist das Orchester für viele nicht mehr so attraktiv. Das Quartett scheint hier eine Lösung zu sein: Man geht nicht alleine durchs Leben geht und kann auf hohem Niveau zusammen etwas erarbeiten. Dennoch wahrt es die Individualität.
Die Unbedingtheit ist nicht
mehr so im Vordergrund,
die Wahrung des Eigenen wichtiger.
HABEN ES JUNGE QUARTETTE HEUTE EINFACHER ODER SCHWERER ALS FRÜHER?
Sie haben es anders: Die Unbedingtheit ist nicht mehr so im Vordergrund, die Wahrung des Eigenen wichtiger. Junge Leute sind heute in Sachen Beziehungen vielleicht klüger als früher, nicht nur im Streichquartett. Sie gehen umsichtiger mit sich und anderen um, haben es leichter, auch einmal eine distanziertere Perspektive einzunehmen.

Und: Das Quartettspielen ist inzwischen fast zu einem normalen Beruf geworden, nicht mehr nur etwas für Freaks. Die Trennung von einem Mitglied ist – wie heutzutage auch eine Ehescheidung – kein öffentliches Drama mehr, sondern eine Transition.
NACH WELCHEN KRITERIEN ENTSCHEIDEN SIE, OB SIE EINEN KÜNSTLER AUFNEHMEN?
Ich weiß es nicht, ich verstehe es selber oft nicht ganz. Wenn ich ehrlich bin: aus dem Bauch heraus. Das ist das Einzige, was mir die Leidenschaft gibt.
Wenn es kein Geheimnis mehr
gibt, dann brenne ich nicht, und
dann habe ich keine Lust mehr.
UND NACH WELCHEN EREIGNISSEN ODER KRITERIEN TRENNEN SIE SICH WIEDER?
Es sind im Laufe der 30 Jahre viele gekommen und auch viele gegangen. Als ich anfing, waren meine Künstler viel älter als ich, irgendwann verließen sie die Bühne. Andere gingen, weil sie bei uns nicht gefunden hatten, was sie suchten. Andere bat ich zu gehen, weil ich mich mit ihrer Vertretung nicht wohl fühlte oder nicht bringen konnte, was nötig gewesen wäre.

Und dann gibt es noch einen Grund: Man kennt sich zu gut. Ich brauche das Mysterium in einem Künstler, ich muss immer noch überrascht werden. Wenn es kein Geheimnis mehr gibt, dann brenne ich nicht, und dann habe ich keine Lust mehr. Das kann nach kurzer Zeit der Fall sein, und wiederum bei anderen auch erst nach Jahrzehnten oder nie.
WAS IST NEU BEIM IMPRESARIAT? WAS BEWEGT SICH?
Generationswechsel! Ein aufregendes Thema, das mit Sich-Häuten und Loslassen zu tun hat, mit Neugier für und Vertrauen in die Jüngeren. Unter dem Dach des Impresariats ist ein Team fähiger Agenten über die Jahre gewachsen. Mein Sohn hat sein Interesse an diesem Beruf entdeckt, vielleicht das größte Geschenk, das sich Eltern erträumen können. Sie alle werden die Zukunft gestalten.

Einmal begonnen, gewinnt ein solcher Prozess von allein an Fahrt und es verändern sich Dinge, von denen man nie gedacht hat, dass sie je infrage gestellt würden: Nehmen Sie das Logo, das symbolisch für das Gesicht einer Firma steht – plötzlich erscheint es ganz natürlich, es deutlich zu verändern. Auch darüber hinaus: Da entwickelt sich eine große Kraft.